Mittwoch, 24. August 2016

Die stärkste Waffe gegen Zwangsgedanken: Konfrontationstherapie (Exposition)

In diesem Eintrag möchte ich ein wenig über meine Erfahrungen mit der Konfrontationstherapie schreiben. Diese Art von Therapie sollte nur von einem erfahrenen Therapeuten begleitet werden, da sie für den Patienten sehr belastend ist und nicht negative Auswirkungen auslösen soll. Ich werde hier auch eine typische ausgedachte Geschichte schreiben, die explizite Gewaltdarstellungen enthält und die typischen Ängste eines Menschen mit aggressiven Zwangsgedanken beschreibt. Wenn du denkst, dass du diese Geschichte nicht lesen kannst, weil sie starke Angst in dir auslöst, kannst du sie gerne überspringen. Es ist jedoch einfach nur eine frei erfundene Geschichte und sie ändert rein gar nichts an dir und deinen Handlungen.


Wie funktioniert Konfrontationstherapie?
  • Bei der Konfrontationstherapie wird das Thema der Zwangsgedanken direkt aufgegriffen. Nach dem Motto: "Face your Fears" , also 'stelle dich deinen Ängsten', muss man sich diesen komplett ausliefern. Man nennt es deswegen auch "Expositionstherapie".
    Grundsätzlich ist der Ablauf folgender: Der Zwangspatient schreibt eine Geschichte auf, die möglich viele Aspekte der Zwangsgedanken beinhaltet. In dieser Geschichte, die aus der ersten Person singular (also "ich") Perspektive geschrieben wird, führt der Betroffene die Handlungen aus, vor denen er am meisten Angst hat. Die Geschichte soll dabei alle Konsequenzen beinhalten und darf auch ins Detail gehen. Außerdem sind Übertreibungen in Ordnung.
    Anschließend muss der Patient diese Geschichte im Beisammensein des Therapeuten laut vorlesen. Dies soll wieder und wieder geschehen, bis die Geschichte als Geschichte wahrgenommen wird und die größte Angst überwunden ist. (mehr dazu weiter unten)
Ein Beispiel für eine erfundene Geschichte (VORSICHT, GEWALTDARSTELLUNG!):
Ich heiße Emma und habe 3 Kinder im Alter von 3, 5 und 8 Jahren. An einem Sonntagmorgen decke ich wie an jedem Wochenende den Frühstückstisch. Meine Kinder versammeln sich auf ihren Plätzen und fangen an zu essen und unterhalten sich vergnügt. Mein Mann kommt verschlafen dazu und macht sich einen Kaffe. Als ich das große Küchenmesser sehe überkommt mich das innere Verlangen meine Kinder damit zu ermorden. Ich nehme das Messer, schreie laut und steche auf meine Kinder ein. Meine Kinder schreien und heulen und versuchen mir zu entkommen. Mein Mann ist schockiert und versucht mich festzuhalten. Meine Arme sind blutüberströmt und ich schreie noch immer. Ich versuche mich meinem Mann zu entreissen und mich mit dem Messer selbst zu verletzen. Ich stürze auf den Boden und mein Mann fixiert meine Arme.
Es ist nun passiert, mein innerstes Verlangen hat meinen Verstand besiegt, ich bin nun ein Mörder, ein Geisteskranker und gefährlich für die Menschheit. Nach diesem Vorfall werde ich in eine geschlossene Psychatrie eingewiesen. Mein Mann und meine Familie möchten keinen Kontakt mehr zu mir haben. Ich werde mit Medikamenten vollgepumpt und muss bis an mein Lebensende in Gefangenheit verbringen.

  • Diese Geschichte war mit Sicherheit nicht völlig emotionsfrei zu lesen, oder? Ich habe mal die Stellen markiert, die besonders universell bei Zwangspatienten angsteinflößend sind. Das "innere Verlangen" etwas schlimmes zu tun, also das 'Monster im Selbst', ist bei vielen Betroffenen ein typisches Schreckensbild. Die Kontrolle zu verlieren, auszurasten und etwas zu tun vor dem man so große Angst hat, ist ebenfalls ein ganz typischer Aspekt. Der jeweilige Inhalt ist dann gänzlich davon abhängig was das Thema der Zwangsgedanken ist, also völlig austauschbar.

Was passiert im Kopf?
  • Zunächst ist das Ausdenken und Aufschreiben einer solchen Geschichte unheimlich belastend. Man ist erst einmal gezwungen sich zu fragen was die größten Ängste sind, die man hat. Diese werden dann in eine Geschichte eingebaut, die ein alltägliches Ereignis beschreibt.
    Mit dem stetigen Vorlesen der Geschichte baut sich eine große Spannung und Angst auf. Das Gehirn fängt an sich den Inhalt bildlich vorzustellen und Details zu ergänzen. Emotionen der Beteiligten werden intensiver vorgestellt und die Geschichte erscheint 'lebendig'.
    Die Geschichte muss so lange wiederholt werden, bis sich die Spannung wieder abbaut. In diesem Moment begreift das Gehirn (oder wer auch immer dafür zuständig ist), dass es sich gerade um eine Geschichte handelt, dass es keine akute Gefahr gibt, und durch die intensiven Gedanken nichts weiter passiert ("Es sind nur Gedanken", "Es ist nur eine Geschichte")
    Es kann schon eine halbe Stunde oder länger dauern, bis sich die Spannung wieder abbaut. Man muss die Geschichte so lange vorlesen (oder sich anhören) bis dies passiert. Wenn man aufhört diese zu lesen bevor die Angst abflacht, kann dies eher negative Auswirkungen haben.
    Es ist ein unglaublich befreiendes Gefühl, wenn man das erste mal die aufgeschriebene Geschichte lesen kann, ohne große Ängste zu bekommen und man sie wirklich als eine Geschichte wahrnimmt.
  • Die Wirkung der Konfrontationstherapie macht sich als erstes bemerkbar wenn man in eine typische Situation kommt, in der Zwangsgedanken auftreten, und diese plötzlich gar nicht da sind. Unser Gehirn hat dann nämlich das Warnsignal weggelassen, weil es weiß das keine Bedrohung vorhanden ist. Anfangs kann das Warnsignal noch vorhanden sein, d.h. es treten Gedanken auf und diese lösen Angst aus, jedoch kann man sich selbst sofort an die Geschichte erinnern und die Gedanken so 'ad absurdum' führen.
Wie macht man es?
Einige Regeln habe ich bereits oben beschrieben, hier noch ein paar mehr und komprimiert:
  • Eine Geschichte zusammen mit dem Therapeuten aufschreiben
  • Die Geschichte zusammen mit dem Therapeuten vorlesen
  • Sich selbst beim lesen beobachten ("wie angespannt bin ich?", "was fühle ich?")
  • Das Lesen wiederholen bis die Anspannung und Angst nachlassen
  • Am nächsten Tag wiederholen, danach erst einmal 1-2 Tage Pause
  • Danach täglich wiederholen, alleine ohne Therapeuten
  • Manche Therapeuten sagen man soll die Geschichte bis zu 1-2 Stunden lang wiederholen. Ich halte das für unpraktikabel und unrealistisch. Ich empfehle die Geschichte so lange zu wiederholen bis die Angst abflacht.
  • Die Geschichte kann auch "auf Band" (heutzutage wohl eher "auf Smartphone") gesprochen werden. Danach hört man sie sich einfach in einer Endlosschleife an
  • Für Außenstehende ist eine solche Geschichte wohl eher nicht nachvollziehbar, da sie meistens die Krankheit und die Konfrontationstherapie nicht kennen. Ich würde daher vorschlagen, dass man die Geschichte mit einem einleitenden Satz beginnt, wie "Dies ist eine Geschichte die ich mir im Rahmen einer Konfrontationstherapie gegen Zwangsgedanken ausgedacht habe". Falls mal ein Außenstehender die Geschichte liest oder hört wird er nicht gleich die GSG9 verständigen ;-)
  • Wiederholen bis Erfolge da sind und die Geschichte vom Gehirn als Geschichte erkannt wird.
  • Wiederholen falls man "rückfällig" wird - quasi als Gedankenstütze wenn die Angst wieder kommen sollte

Mögliche Nebenwirkungen...
Wenn man die Regeln nicht einhält, so kann die Konfrontationstherapie auch eher negative Auswirkungen haben.
  • Bricht man das vorlesen/anhören der Geschichte ab, wenn die Angst am größten ist, so lernt das Gehirn nicht, dass von der Geschichte/den Gedanken keine Gefahr ausgeht. 
  • Angst vor der Therapie: Es ist ganz normal, dass ein Zwangspatient die Befürchtung hat, dass durch das endlose Wiederholen die Zwangsgedanken noch "tiefer eingebrannt" werden. Dies ist jedoch nicht der Fall. Im Gegenteil ist es ja so, dass die Gedanken sowieso schon tief verwurzelt sind. Man löscht durch die Konfrontationstherapie nicht die Gedanken, sondern gibt ihnen eine neue Bewertungsgrundlage. Man bringt ihnen bei, dass sie nicht wichtig sind.
  • Angst davor, dass der Zweifel noch größer wird: Ebenfalls ganz normal ist die Angst, dass die Konfrontationstherapie durch das ständige Wiederholen der "schlimmen" Gedanken die Gefahr erhöht man könne diese durchführen, oder man würde davon verrückt werden. Auch diese Bedenken sind grundlos. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass die Zwangsgedanken auch durch mehrfaches Wiederholen weiterhin nur Gedanken sind und nichts anderes.

Ich persönlich habe gute Erfahrungen mit der Konfrontationstherapie gemacht. Ich glaube es ist die stärkste Waffe gegen Gedankenzwänge, aber sie verlangt auch am meisten vom Zwangspatienten ab. Es ist kein Kinderspiel sich so intensiv seinen Zwangsgedanken zu stellen.
Überhaupt sollte man im Alltag immer gegen den Zwang angehen. Niemals dem Zwang nachgeben, niemals vermeiden und sich immer den Ängsten stellen. Das ist zwar sehr anstrengend, dauert auch lange, aber das beste um sich von Zwangsgedanken für immer zu befreien!



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2 Kommentare: